Montag, 24. Januar 2005

Schöpferische Tagträume beim Laufen

Woran denken Sie beim Jogging? Beim Schwimmen? Beim Wandern? Beim Radfahren?
Die Frage stellt sich nicht, wenn Sie in der Gruppe laufen und sich miteinander unterhalten. Wenn Sie aber alleine laufen, dann ist Jogging eine gute Gelegenheit zum Nachdenken. Vielleicht ist es Ihre einzige wirkliche Gelegenheit zum Nachdenken für den ganzen Tag ...
Wer sich an die "Spielregeln des Jogging" hält, langsam und im Sauerstoffüberschuss läuft, der ist während des Laufens geistig in Hochform. Andererseits ist der (Allein-)Jogger von gedanklichem Input isoliert, noch dazu wenn die Umgebung monoton ist oder er in der Dämmerung oder Dunkelheit läuft.
Wie denkt man beim Jogging?
Die Folge ist eine Art von Tagträumen. Was der Einzelne wirklich denkt, entzieht sich unserer Kenntnis. Der eine oder andere wird wohl an seinen Job denken, an einen Streit, an ein Vorhaben etc. Andere retten vielleicht im Traum die Welt, erleben Abenteurer mit dem anderen Geschlecht, verarbeiten den Gedankenmüll aus dem Fernsehen.
Wenn Sie loslaufen und dabei an eine anstehende Entscheidung denken, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß Sie die ganze Zeit bei diesem Themenkomplex bleiben und damit schließlich wieder nach Hause kommen. Die typische Folge der "gedanklichen Isolation" ist, dass sich Ihre Gedanken nur gegenseitig anstossen, dass Sie sich in einem "Gedankenkäfig" bewegen.
Wenn Sie alleine laufen, dann "verrennen" Sie sich leicht in einen Gedanken. Niemand widerspricht Ihnen. Sie machen keine Notizen und Sie können nichts nachschlagen. Schwierige Entscheidungen werden nicht wirklich abgewogen, sondern bleiben einseitig betrachtet. Es gibt also Denkprozesse, für die sich sportliche Betätigung wenig eignet.

Andererseits: Was soll´s? Warum soll es eigentlich wichtig sein, was wir beim Joggen denken?
Gesündere Gedanken!
Der wichtigste Grund ist wohl, dass der Erfolg des Joggens selbst von unseren Gedanken abhängt. Wenn Sie an den Streit mit Ihrem Partner denken, an Ihren mürrischen Chef oder an diesen blöden Fehler, den Sie gestern bei der Arbeit gemacht haben, dann steigt Ihr Puls unnötig, aber kräftig an. Sie lächeln nicht, sondern verkrampfen sich innerlich. Sie verlassen schnell den optimalen Laufzustand Ihres Körpers. Sie laufen nicht mehr für die Gesundheit, sondern dagegen.
Ihre Zeit optimal nutzen
Der zweite Grund, über das Denken beim Ausdauertraining nachzudenken, ist Ihre Zeit. Regelmäßige Läufer bringen im Laufe der Zeit zwei volle Lebensjahre mit Laufen zu. Es ist sinnvoll, diese riesige Zeitspanne optimal zu nutzen.
Warum sollten wir diese Zeit verschwenden für Gedanken an die Lieblings-Seifenoper im Fernsehen? Warum Zeit verschwenden für Fehlentscheidungen, die wir nun doch nicht mehr ändern können? Wozu Zeit verschwenden für den Streit mit Kollegen, was doch nur die Stimmung trübt und zu nichts führt?
Worüber wollen Sie nachdenken?
Fassen wir kurz zusammen, dann haben wir eine gute Gelegenheit zum Nachdenken, die wir aber stimmungsmäßig wenig belasten sollten und die sich nicht für jede Art von Nachdenken eignet.

Wofür eignet sich diese Zeit dann am besten?
Es sind erfahrungsgemäß vier Bereiche:
Das Visualisieren von Erfolgen und Zielen
Das Suchen nach Problemlösungen
Die Vorverarbeitung von Lernstoff in einer Art "Priming-Effekt"
bewusste Erholung
Erfolge visualisieren

Am ehesten zum "Tagträumen" passt das Thema "Erfolge visualisieren". Egal, ob Sie sich für Ihren Lebensabend ein Jagdschloss in den Karpaten vorstellen oder ob Sie einfach nur sich vorstellen, wie bis zum Abend der Aktenstapel auf Ihrem Schreibtisch halbiert werden wird: Eine lebhafte Vorstellung begünstigt das Erreichen Ihres Ziels.
Laufen ist ein guter Zeitpunkt, sich in lebhaften Bildern Erfolge vorzustellen, die man bis zum Abend, bis zum Wochenende oder bis zum Rentenalter erreichen möchte.
Wenn Sie erwarten können, daß Ihr Tag Ihnen Freude und Erfolg bringen wird, dann ist die Tagesplanung durchaus eine interessante Denkaufgabe für das morgentliche Jogging. Abendliches Jogging bereinigt Ihren Adrenalinspiegel. Dadurch kann der Rückblick auf die Erfolge des zurückliegenden Tages ebenfalls günstig sein.

Probleme lösen
Probleme brauchen Zeit, zu reifen. Viele Probleme löst man durch "darüber schlafen". Ein lockerer, spielerischer Umgang mit dem Problem steigert Ihre kreative Leistung. Rhythmische Bewegung macht noch dazu von sich aus kreativer, da ein bestimmtes "Kreativitätshormon" verstärkt ausgeschüttet wird.
So gesehen, ist es sinnvoll, sich mit einem ungelösten Problem während eines Ausdauertrainings auseinanderzusetzen. Emotional belastete Probleme eignen sich nicht.

Vorsicht! Nicht jede Umgebung und jede Sportart eignet sich zum träumerischen Nachdenken. Beim Laufen auf befahrenen Wegen oder beim Radfahren könnte es Sie Ihr Leben kosten! Sicherheit geht vor!


Vorverarbeitung
Wer abends einen Lernstoff einfach durchliest und dann morgens lernt, verdoppelt den Lerneffekt. Und wenn Sie ein Buch vor dem Lesen systematisch durchblättern, immer zwei Sekunden pro Seite, dann verbessern Sie beträchtlich Verstehen und Behalten des Inhalts.

Diese Effekte ähneln sich nur zum Teil. Es sind Vorbereitungen des Gehirns. Und derartige Vorbereitungen sind auch beim anstrengungslosen Tagträumen möglich. So könnte man z.B. vor dem Joggen kurz auf einen anstehenden Lernstoff oder ein neues Thema aus dem Arbeitsgebiet vorbereiten. Während des Joggens beschäftigt man sich spielerisch damit, versucht vielleicht, sich zunächst eine eigene Meinung oder Vorstellung zu bilden und so weiter.

Joggen ist deutlich gesünder, wenn Sie keine emotional belasteten Probleme wälzen und den geistigen Müll aus Fernsehen und Zeitung keine Chance geben. Wir müssen also unsere Gedanken ein wenig steuern. Aber natürlich wollen wir nicht jedesmal unsere Joggingrunde für Arbeit verwenden.

Dann hilft nur "Jogging wie im Bilderbuch". Sich an der Natur erfreuen, die Eisvögel am Bach, die Blumen am Wegrand und die Menschen im Park mit kindlicher Freude und Neugier wahrnehmen und betrachten.

Bewusste Erholung beim Joggen ist oft ausgesprochen schwierig. Das Interesse an der Natur ist deutlich geringer als die schwer auf Ihnen lastenden Probleme, die Sie für eine Stunde vergessen wollten.

Erholsamer kann Laufen sein durch gezielte Ablenkung wie "Schäfchen zählen" beim Einschlafen: Beobachten Sie gezielt. Zählen Sie Vögel oder Bäume, schätzen Sie das Alter aller Bäume, an denen Sie vorbeikommen, wieviele Eichen?, wieviele Buchen? ...
Laufen verbrennt Stresshormone. Wenn Sie also feststellen, dass Sie nach einer halben Stunde bessere Stimmung und die Sorgen verdrängt haben, dann drehen Sie doch einfach noch eine Runde...

Wenn Sie sich nicht gezielt mit bestimmten Gedanken befassen, kehren Sorgen sehr schnell ins Bewußsein zurück. Nützlich ist hier auch gezielte Vorsatzbildung: Jedesmal, wenn Sie während des Laufens an Ihre Sorgen denken, beobachten Sie Ihre Atmung, zählen die Jogger auf Ihrem Parkweg, genießen Sie bewusst die Sonnenstrahlen ... Wenn Sie es mit allen Tricks nicht schaffen sollten, "sorgenfrei" zu laufen, ist es sinnvoll, zu zweit zu laufen und sich zu unterhalten.

Beschließen Sie immer in dem Moment, in dem Sie Ihre Laufschuhe anziehen, worüber Sie heute nachdenken wollen.
Denken Sie also beim Sport nicht irgendetwas. Es könnte Ihren ganzen Erfolg zunichte machen. Versuchen Sie, angenehme Gedanken zu denken. Entscheiden Sie gezielt, was Sie denken wollen.

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Sommersemester 2005

Hirngerecht gestalten/ Geschichte der Philosophie und Pädagogik - unter dem Aspekt von Lehren und Lernen betrachtet

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